Marabu / Magazin

Wissen, Aktuelles und Hintergründe
rund um ECM im Gesundheitsmarkt.

Anett Kopielski

Was tun gegen zu viel Bürokratie im Gesundheitswesen?

Der steigende Bürokratieaufwand wird zu einem immer größer werdenden Problem im deutschen Gesundheitswesen. Die aktuelle Studie der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main identifiziert die Ursachen und formuliert Handlungsempfehlungen für Leistungserbringer und die Politik.

Kaum eine Branche in Deutschland ist so stark reglementiert wie das Gesundheitswesen. Bis zu drei Stunden täglich befassen sich Ärzte inzwischen mit dem Ausfüllen von Formularen oder der Dokumentation ihrer Arbeit. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main. Grundlage der Studie waren Interviews mit Führungskräften in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Arztpraxen.

Die Ergebnisse sind eindeutig. Die Zahl der Vorschriften und Regeln hat aus Sicht der Befragten in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen. Als Irrweg bezeichnen viele der Befragten die Absicht, Qualität durch eine Flut von Kontrollen, Sanktionen, Mengenbegrenzungen und Vergütungsabschlägen erzielen zu wollen. Damit fördere die Politik anstelle der gewünschten besseren Qualität und Spezialisierung eher Gleichmacherei und Mittelmaß. Das sei auch nicht im Sinne der Patienten. Gute Leistung werde auf diese Weise bestraft, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main.

„Die vorliegende Studie leistet einen wertvollen Beitrag zum Diskurs, indem sie die bürokratischen Anforderungen an Leistungserbringer im Gesundheitssektor danach hinterfragt, was notwendig und unverzichtbar ist und wo man diese entlasten und handlungsfähige Organstrukturen fördern kann“, erklärt Professor Dr. Harald Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Bank für Sozialwirtschaft AG, die die Studie unterstützend begleitet hat. Kritisch werde es, wenn überbordende Bürokratie den Blick auf das eigene Geschäft verstelle. Der originäre Auftrag von Ärzten und Pflegekräften, also der Dienst am Menschen, müsse stets im Vordergrund stehen und es gelte, Ressourcen so sinnvoll wie möglich einzusetzen.

Ein Team des Instituts for Health Care Business GmbH um den erfahrenen Gesundheitsökonomen Professor Dr. Boris Augurzky wertete im Sommer und Herbst 2017 zahlreiche Dokumente aus, wälzte Gesetzesbücher und befragte rund zwei Dutzend leitende Ärzte und Gesundheitsmanager aus Praxen, Rehakliniken, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern der Rhein-Main-Region und aus anderen Teilen Deutschlands. Die überwiegende Meinung: Die Regulierungsdichte im Gesundheitssystem sei ausgeufert.

Was sind die Ursachen?

Als Verursacher von Bürokratie wurden zahlreiche Institutionen ausgemacht. An erster Stelle steht der MDK, der inzwischen 15 bis 20 Prozent aller Krankenhausfälle einer Prüfung unterzieht. Das sind etwa drei Millionen Prüfungen pro Jahr. In vielen Fällen handelt es sich um Einzelfallprüfungen im schriftlichen Verfahren, die ein hohes Maß an Schreibarbeit auf beiden Seiten nach sich ziehen. Ebenfalls häufig genannt wurde das neu eingeführte Entlassmanagement, womit die nahtlose Versorgung der Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt sichergestellt werden soll. Die damit einhergehenden steigenden Dokumentationspflichten erzeugen bei den Befragten ohne funktionierende elektronische Patientenakte einen hohen bürokratischen Aufwand.

Auch die ambulant-stationäre Sektorengrenze verursacht aufgrund fehlender digitaler Schnittstellen bürokratische Belastung. Insgesamt ist die gering ausgeprägte Digitalisierung für viele Leistungserbringer ein Bürokratietreiber, weil dies dazu führt, dass Prozesse händisch bzw. in Papierform abgewickelt werden müssen. Zudem wird die Zunahme von Dokumentationsverpflichtungen in vielen Bereichen bemängelt. Im Bereich Qualitätsmanagement spielen neben dem internen Qualitätsmanagement auch die externe Qualitätsmessung sowie Zertifizierungen zum Nachweis von Qualität eine immer größere Rolle. Diese fordern ein hohes Maß an Dokumentation, die zum Teil ebenfalls nicht in digitaler Form erfolgt.

Handlungsempfehlungen an die Politik

Professor Augursky und sein Team leiten aus der Studie zehn Handlungsempfehlungen an die Politik ab. So fordern sie u.a. die Schaffung einer einheitlichen Telematik-Infrastruktur, sektorenübergreifender Kommunikationskanäle und eines effizienten Datenschutzes. Dazu müssen Patienten autorisiert werden, Eigentümer ihrer Daten zu sein. Eine lebenslange Patienten-ID ist einzuführen, um Abläufe zu vereinfachen und eine klare Zuordnung der Patientendaten sektorenübergreifend zu ermöglichen.

Eine weitere Empfehlung ist die Schaffung effizienterer Prüfverfahren des MDK. Statt Einzelfallprüfungen sollten Prüfungen gebündelt sowie als statistische Stichprobenprüfungen durchgeführt werden. Außerdem sollte die Unabhängigkeit der Prüfer gewährleistet werden, um interessensgeleitete Rechnungsprüfungen zu vermeiden.

Spezifische Regulierungen im ambulanten und stationären Bereich erschweren den Datenaustausch und die Kommunikation zwischen den Sektoren. Hier wird eine Entbürokratisierung gefordert. Außerdem ist nach Aussage der Autoren die Einführung einer sektorenübergreifenden Patientenakte zwingend nötig.

Empfehlungen an die Leistungserbringer

Aber auch Leistungserbringer können laut Studie bürokratische Aufwände mit den folgenden Maßnahmen eigenständig reduzieren:

  1. Konsequentes Durchforsten und Verschlanken der eigenen Prozesse als permanente Führungsaufgabe.
  2. Investitionen in digitale Technologien, die dazu geeignet sind, bürokratische Tätigkeiten zu automatisieren oder Redundanzen zu vermeiden, z.B. voice-to-text, smarte Technologien, „Online-Check-In“ zur Vereinfachung der Patientenanmeldung.
  3. Einsatz von Dokumentationsassistenten in der Pflege und im Ärztlichen Dienst.
  4. Ausbau sektorenübergreifender Versorgungsangebote im Rahmen der derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten.
  5. Harmonisierung sowohl der EDV-Systeme in Arztpraxen als auch der Krankenhausinformationssysteme, Zusammenarbeit mit den Herstellern suchen.

Über diese Studie hinaus kann man festhalten, dass die Prozesse durch geeignete Software effektiv unterstützt werden können, um die Abwicklung in Papierform drastisch zu reduzieren. Das kann z.B. eine elektronische Patientenakte zur Behandlungsdokumentation, eine QM-Software zur Dokumentation des internen Qualitätsmanagements oder ein Tool zur effektiven Bearbeitung von MDK-Prüfungen sein. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang auch die geforderte Harmonisierung der IT-Systeme, so dass Dokumente problemlos anwendungsübergreifend ausgetauscht werden können.

Anett Kopielski

Über den Autor

Anett Kopielski ist bei der NEXUS im Bereich Marketing und Unternehmenskommunikation tätig und betreut u.a. die NEXUS / MARABU. Sie beschäftigt sich mit aktuellen Trends, Studien und Entwicklungen rund um den Gesundheitsmarkt und speziell Enterprise Content Management.

Frau am Laptop

Zurück